Es werden die alten (konventionellen) Antiepileptika in alphabetischer Reihenfolge besprochen, und zwar werden die möglichen Anwendungen bei den verschiedenen Epilepsien und die wichtigsten Nebenwirkungen der einzelnen Substanzen dargestellt.
ACTH Handelsname: Synacten (Tetracosactid)
Wirkungsmechanismus:
Das adrenocortikotrope Hormon (ACTH) ist ein Hormon, das in der Hirnanhangsdrüse
gebildet wird und die Funktion der Nebennieren steuert, welche ihrerseits
Hormone bilden (u.a. Cortison und Aldosteron), welche vielfältige Wirkungen auf
den Stoffwechsel und den Mineralhaushalt haben. ACTH hat deshalb auch besonders
viele und starke Nebenwirkungen.
Anwendung:
ACTH wirkt nur bei wenigen Epilepsien, am besten bei den BNS-Krämpfen, daneben auch
bei der myoklonisch-astatischen Epilepsie, beim Landau-Kleffner-Syndrom, beim
ESES-Syndrom und beim Lennox-Gastaut-Syndrom. Es muss intramuskulär gespritzt
werden. Wegen der starken Nebenwirkungen wird es in der Regel nur kurze Zeit
angewendet. Anstelle von ACTH werden teilweise auch die Cortison-Präparate
Prednison (Prednisolon) oder Dexamethason verwendet.
Nebenwirkungen (abhängig von der Dosis und der Dauer der Verabreichung):
Leukozytose (Vermehrung der weißen Blutkörperchen), Schwächung des Immunsystems mit
erhöhtem Risiko schwerer bakterieller Infektionen, Elektrolytverschiebungen im Blut,
Hyperglykämie (erhöhte Blutzuckerwerte), Bluthochdruck, Reizbarkeit, Veränderungen des
Gesichtes (sog. Cushing-Aspekt), Erbrechen, Magenblutungen, Ödeme, Veränderungen
der Herzmuskulatur mit dem Risiko des Herzversagens
Bromid Handelsname: Dibro-Be
Wirkungsmechanismus:
Verstärkung der GABA-Wirkung (GABA=Gamma-Aminobuttersäure, diese ist der wichtigste
anfallshemmende Überträgerstoff im Gehirn)
Anwendung:
Epilepsien mit generalisierten tonisch-klonischen Anfällen, vor allem bei der frühkindlichen
Grand-Mal-Epilepsie und der schweren myoklonischen Epilepsie des Kleinkindesalters
Tagesdosis:
Erwachsene: 30-50 mg/kg, Schulkinder: 40-60 mg/kg, Kleinkinder: 50-70 mg/kg
Nebenwirkungen:
Appetitmangel, Reizungen des Magen-Darmtraktes, "Bromismus" mit Verlangsamung, Schläfrigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Konzentrationsmangel, Gedächtnisverlust,
Halluzinationen; Bromakne, Bromschnupfen, sog. Bromoderm (schmerzhafte Knoten an
den Streckseiten der Unterschenkel)
Carbamazepin Handelsnamen: Carbamazepin, Carbium etc., Finlepsin, Sirtal, Tegretal, Timonil
Wirkungsmechanismus:
Trizyklische Substanz, welche die Natriumkanäle in den Nervenzellmembranen blockiert
Anwendung:
Mittel der ersten Wahl bei Anfällen fokalen Ursprungs
Tagesdosis:
Erwachsene: 600-1200 (-2000) mg; Kinder: 10-40 mg/kg
Nebenwirkungen:
Häufigere:
Magen-Darm-Beschwerden mit Übelkeit, Erbrechen; Müdigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Doppeltsehen, Gangunsicherheit; vorübergehende Leukopenie (Verminderung der weißen Blutkörperchen) in 5-20% der Fälle (ohne Krankheitswert); allergischer Hautausschlag bei 10% der Patienten;
Seltene:
Hyponatriämie (Absenkung des Minerals Natrium im Blut, meist ohne Krankheitswert); Spaltbildung der Wirbelsäule (Spina bifida) beim Neugeborenen, falls es in der Frühschwangerschaft eingenommen wurde
Clobazam Handelsname:
Frisium
Wirkungsmechanismus:
Dosierung:
Erwachsene: 10-40 mg; Kinder:
0,3-1 mg/kg;
Anwendung:
Zusatztherapie bei generalisierten
und fokalen Epilepsien, einschließlich des Lennox-Gastaut-Syndroms
Nebenwirkungen:
Müdigkeit, Schwindel,
Schläfrigkeit, Gangunsicherheit, verstärkter Speichelfluss, Reizbarkeit,
depressive Verstimmung; Verlust der Wirkung im Laufe der Zeit (Entwicklung einer
Toleranz) in 50% der Patienten, der Entzug von Frisium kann Anfälle
auslösen
Ethosuximid Handelsname: Petnidan, Suxilep, Suxinutin
Wirkungsmechanismus:
Dieses Medikament mit einer speziellen Ringstruktur reduziert den Strom des Minerals Calcium durch die Membranen der Nervenzellen
Tagesdosis:
Erwachsene: 500-2000 mg (10-20 mg/kg); Kinder: 15-40 mg/kg
Anwendung:
Absencen
Nebenwirkungen:
Häufigere:
Übelkeit, Erbrechen, Aufstoßen, Müdigkeit;
Seltene:
Kopfschmerzen, Schwindel, depressive Verstimmung
Mesuximid (Methsuximid) Handelsname: Petinutin
Wirkungsmechanismus:
unbekannt, wahrscheinlich ähnlich dem des Ethosuximids (s. oben)
Anwendung:
schwierig zu behandelnde Absencen, schwierige Epilepsien mit komplexen fokalen Anfällen, Lennox-Gastaut-Syndrom
Tagesdosis:
Erwachsene: 900-1200 mg, Kinder: 20 mg/kg
Nebenwirkungen:
Häufigere:
Magen-Darm-Beschwerden mit Appetitmangel, Übelkeit, Erbrechen, Schluckauf, Bauchschmerzen; Müdigkeit, Kopfschmerzen, Lichtscheu, Gangunsicherheit, Schwindelgefühl, Reizbarkeit;
Seltene:
Verhaltensaufälligkeiten, Konfusion
Phenobarbital Handelsnamen: Lepinal, Lepinaletten, Luminal, Luminaletten, Phenaemal,
Phenaemaletten
Wirkungsmechanismus:
Dieser Barbitursäureabkömmling verstärkt u.a. die GABA-Wirkung (GABA=Gamma-Aminobuttersäure, diese ist der wichtigste anfallshemmende Überträgerstoff im Gehirn)
Anwendung:
fokale und generalisierte Epilepsien; Neugeborenenkrämpfe; intravenös zur Behandlung des Status epilepticus; zur Fieberkrampfdauerprophylaxe
Tagesdosis:
Erwachsene: 30-200 mg (2-3 mg/kg); Kinder: 2-8 mg/kg
Nebenwirkungen:
Häufigere:
Müdigkeit, allgemeine Verlangsamung, Verhaltensstörungen, verminderte Konzentrationsfähigkeit;
Seltene:
Schwindel, Verschwommensehen, Gangunsicherheit, Störungen des Denkens, Störung des Vitamin D- und Calcium-Phosphatstoffwechsel (Osteomalazie); bei Einnahme in der Schwangerschaft: Dysmorphien (gestaltliche Auffälligkeiten) des Neugeborenen, nämlich kleine und große Fehlbildungen; Beeinträchtigung des Gehirnwachstums (reduzierter Kopfumfang); vermindertes Geburtsgewicht
Phenytoin
Handelsnamen: Epanutin, Phenhydan, Zentropil
Wirkungsmechanismus:
blockiert die Natriumkanäle in den Nervenzellmembranen
Anwendung:
Epilepsien mit fokalen und sekundär generalisierten Anfällen; intravenös zur Behandlung des Status
epilepticus; zur Behandlung der Neugeborenenkrämpfe (intravenös)
Tagesdosis:
Erwachsene: 300-400 mg (5 mg/kg), Kinder: 5-10 mg/Tag (in Abhängigkeit vom Lebensalter); Gefahr der Intoxikation(Vergiftung) durch Überdosierung
Nebenwirkungen:
Hautausschlag in 5-10% der Patienten; bei sehr hoher Dosis: Augenzittern (Nystagmus) Gangunsicherheit, Müdigkeit, Schläfrigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Tremor, Störungen des
Denkens, Verhaltensstörungen; in 20% der Patienten Vergröberung der
Gesichtszüge, Wucherung des Zahnfleisches (Gingivahyperplasie); an der Haut: Akne, verstärkte Körperbehaarung; bei Einnahme während der Schwangerschaft: kleine und große Anomalien des Neugeborenen
Primidon
Handelsnamen: Liskantin, Mylepsinum, Resimatil
Wirkungsmechanismus:
Anwendung:
wie bei Phenobarbital; schwierig
zu behandelnde fokale und generalisierte tonisch-klonische Anfälle; myoklonische
Anfälle nach Versagen der Mittel der ersten Wahl
Tagesdosis:
Erwachsene: 750-1000 (-1500) mg;
Kinder: 5-20 mg/kg
Nebenwirkungen:
ähnlich Phenobarbital
Sultiam Handelsname: Ospolot
Wirkungsmechanismus:
Sulfonamidabkömmling, welcher die Carboanhydrase hemmt, welche den Säure-Basen-Haushalt reguliert
Anwendung:
Mittel der ersten Wahl bei den idiopathischen fokalen Epilepsien (z.B. der Rolando-Epilepsie); ist auch bei kryptogenen und symptomatischen fokalen Epilepsien wirksam, möglicherweise auch bei den BNS-Krämpfen
Tagesdosis:
Erwachsene: 400-2000 mg; Kinder: 5-10 mg/kg
Nebenwirkungen:
Magen-Darm-Beschwerden (etwa 10% der Patienten); verstärktes Atmen (Hyperpnoe), Kribbeln (Parästhesien) in
den Händen und um den Mund herum, Appetitminderung, Gewichtsverlust, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Doppelbilder, Schwindelgefühl
Valproat Handelsnamen: Convulex, Ergenyl, Leptilan, Mylproin, Orfiril
Wirkungsmechanismus:
Noch nicht eindeutig geklärt, aber wahrscheinlich mehrere Wirkmechanismen: Hemmung der Natriumkanäle und Calciumkanäle in den Nervenzellmembranen, verstärkte GABA-Wirkung (GABA=Gamma-Aminobuttersäure, diese ist der wichtigste anfallshemmende
Überträgerstoff im Gehirn)
Anwendung:
Sehr breites Wirkungsspektrum; generalisierte Epilepsien mit tonisch-klonischen, tonischen, klonischen, myoklonischen Anfällen und/oder generalisierten Absencen; Epilepsien mit fokalen und sekundär generalisierten Anfällen; Lennox-Gastaut-Syndrom; West-Syndrom; intravenöse Behandlung des Status epilepticus
Tagesdosis:
Erwachsene: 1200-1800 (-4000) mg; Kinder: 15-60 mg/kg, meist 20-30 mg/kg, in Einzelfällen bis 100 mg/kg (West-Syndrom)
Nebenwirkungen:
Häufigere:
Müdigkeit, Tremor, Haarausfall, Verhaltensauffälligkeiten, Magen-Darm-Störungen (selten bei dünndarmlöslichen Retard-Präparaten), Hyperammonämie (etwas erhöhter Ammoniakwert im Blut, in der Regel ohne Krankheitswert), vorübergehend leichte Erhöhungen der Leberwerte und leichte Verminderung der Blutplättchen (Thrombopenie); Gewichtszunahme;
Sehr selten:
akutes Leberversagen, Pankreatitis, Knochenmarksdepression; bei Einnahme während der Schwangerschaft kleine und große Fehlbildungen bei den Neugeborenen, Risiko der Spaltbildung des Wirbelsäule und des Rückenmarks (Spina bifida) etwa 1-2% der Neugeborenen (wenn die Schwangere in den ersten Wochen der Schwangerschaft eine hohe Dosis, d.h. mindestens 1 g Valproat pro Tag einnimmt; die Einnahme von Folsäure in der Frühschwangerschaft kann die Spaltbildung verhindern)