überarbeitet von Dr. Werner Wolf


Therapie und Prophylaxe von Gesichtsneuralgien und chronischen Gesichtsschmerzen anderer Provenienz

Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG)

D. Soyka, V. Pfaffenrath, U. Steude, M. Zenz


Bei Klagen über einen bisher nicht abgeklärten chronischen Gesichtschmerz gilt eine erste Überlegung der Frage, ob eine eigenständige Gesichtsnervenneuralgie, vornehmlich eine Trigeminusneuralgie (TN), vorliegen könnte, denn diese Leiden lassen sich aufgrund charakteristischer diagnostischer Kriterien besonders zuverläßig erkennen und übrigens auch erfolgversprechend behandeln. Kann eine solche eigenständige Gesichtsneuralgie ausgeschlossen werden, so kommen differentialdiagnostisch eine Reihe anderer Syndrome und Kankheiten in Betracht, bei denen chronischer Gesichtsschmerz vorkommen kann und von denen die wichtigsten in dieser Übersicht kurz mit Definition, Diagnose und Therapie dargestellt werden sollen.


1. DIE TRIGEMINUSNEURALGIE UND ANALOGE SELTENERE GESICHTSNERVENNEURALGIEN

1.1. DEFINITION UND KLINIK

Diese chronischen Schmerzleiden sind durch plötzlich einschießende, streng einseitige Schmerzattacken charakterisiert, die mit äußerster Heftigkeit oberflächlich in den Versorgungsbereich des betroffenen Nerven oder Nervenastes einstrahlen und nicht von einem neurologischen Defizit begleitet sind. Bei der Trigeminusneuralgie (TN; Tic douloureux) ist am häufigsten der 2. und/oder 3. Ast betroffen. Die Attacken dauern Sekunden bis maximal 1-2 Minuten. Zwischen den einzelnen Schmerzattacken sind die Patienten schmerzfrei, primärer Dauerschmerz schließt also die Diagnose einer eigenständigen Gesichtsnervenneuralgie aus. Bei der Glossopharyngeusneuralgie (GN) werden die Schmerzen einseitig im Pharynx, in der Tonsillennische und im Ohr empfunden, bei der Laryngicus-Neuralgie (N. laryngicus superior) im seitlichen Kehlkopfbereich.

1.2. ÄTIOLOGIE UND PATHOGENESE
In den weitaus meisten fällen handelt es sich aus heutiger Sicht ursächlich um ein mikrovaskuläres Kompressionssyndrom (alte Terminologie: "idiopathische" Neuralgie). Dabei kommt es zu pathologischen Kontakten zwischen einem Gefäß, meist einer Arterie, und der Nervenwurzel unmittelbar nach ihrem Austritt aus dem Hirnstamm. Bei der TN handelt es sich in der Regel um die A. cerebelli superior oder einen ihrer Äste. Die dauernde Gefäßpulsation führt zu einer segmentalen Demyelinisierung von Nervenfasern. Es resultieren ephaptische Kurzschlüsse zwischen benachbarten Axonen mit pathologischer Reizübertragung, sodaß dann z.B. afferente Impulse in taktilen Fasern Schmerzsensationen auslösen können, und es kann in diesem Bereich auch zu pathologischen Spontanentladungen kommen. Gelegentlich manifestiert sich eine typische TN in Verbindung mit einer multiplen Sklerose (1,5% der Patienten mit MS), hier bedingt durch einen Entmarkungsherd. Auch Tumoren der hinteren Schädelgrube (Meningeome, Neurinome), der Schädelbasis (Metastasen) und im Bereich des Hirnstammes, Aneurysmen, Angiome oder eine Meningeosis carcinomatosa oder lymphomatosa können mit einer TN vergesellschaftet sein (alte Bezeichnung: "symptomatiische" TN). Kommt es zusätzlich zu den Schmerzattacken zu einem Dauerschmerz, zu Sensibilitätsstörungen und/oder motorischen Ausfällen im Versorgungsgebiet des Nerven, so ist stets ein solcher begleitender organischer Prozeß anzunehmen, es sei denn, daß operative Therapieverfahren vorangegangen sind.

1.3. EPIDEMIOLOGIE
Die TN manifestiert sich typischerweise oberhalb des 50.Lebensjahres, relativ am häufigsten mit weiter zunehmendem Lebensalter. Die Inzidenz beträgt 4-6/100 000, die Prävalenz 40/100 000. Frauen sind im Verhältnis 3:2 etwas häufiger betroffen als Männer. Bei jüngeren Menschen liegt der Neuralgie eher ein besonderer neurologischer Prozeß zugrunde (siehe oben). Die GN ist wesemtlich seltener als die TN.

1.4. DIAGNOSE
Die Diagnose stützt sich auf die von der International Headache Society (IHS) publizierten diagnostischen Kriterien (Tabelle 1). Der neurologische Untersuchungsbefund ist unauffällig, sofern der Neuralgie kein spezieller organischer Prozeß zugrundeliegt und kein neurochirurgischer Eingriff erfolgt ist (6,14,15). Apparativ sollte auf jeden Fall eine kraniale Kernspintomographie (MRT) erfolgen, bei Verdacht auf eine ursächliche MS auch eine Liquoruntersuchung. Trotz der an sich klaren diagnostischen Kriterien ist die TN die häufigste Fehldiagnose bei Schmerzen im Gesichtsbereich. Eine Reihe anderer Syndrome und Krankheiten, bei denen chronischer Gesichtsschmerz auftreten kann, ist differentialdiagnostisch zu berücksichtigen (Tabelle 2). Der Clusterkopfschmerz tritt wie die Gesichtsneuralgien streng einseitig auf, und auch die Schmerzintensität ist vergleichbar. Die Attacken dauern allerdings länger als bei der TN, und es sind vor allem jüngere Männer betroffen. Zu Einzelheiten wird auf die gesondert publizierten Therapiempfehlungen zum Clusterkopfschmerz verwiesen. Andere mit Gesichtsschmerzen einhergehende Syndrome und Krankheiten werden weiter unten abgehandelt.

1.6. VERLAUF
Die eigenständigen Gesichtsnervenneuralgien verlaufen unbehandelt über viele Jahre hinweg und können dabei zunehmend schwieriger behandelbar sein. In den Anfangsstadien sind schmerzfreie Intervalle von mehreren Monaten oder sogar länger als einem Jahr nicht ungewöhnlich.

1.7. THERAPIE (2, 13, 14, 15)

1.7.1. AKUTTHERAPIE DER NEURALGIEN

Die einzelne Schmerzattacke klingt so schnell ab, daß jede Therapie zu spät kommen würde. Bisweilen treten Attacken trotz laufender Therapie salvenartig rasch hintereinander auf, wodurch der Patient extrem beeinträchtigt wird, ja sogar suizidal gefährdet sein kann.. Nichtsteroidale Antirheumatika/Analgetika (NSAR) sind hier ineffektiv, ausnahmsweise kann in dieser Situation auf Opioide zurückgegriffen werden.   Das Hauptziel der Behandlung besteht darin, durch eine geeignete Langzeitmedikation ein weiteres Auftreten von Attacken überhaupt zu unterdrücken.

1.7.2. PROPHYLAXE DER NEURALGIEN
Zumindest in den ersten Monaten, meist Jahren des Verlaufes einer Gesichtsnervenneuralgie wirken bestimmte Antikonvulsiva bei oraler Applikation zuverläßig. Carbamazepin (CBZ) ist das Medikament der ersten Wahl. Bezüglich der Dosierung und der wichtigsten Nebenwirkungen wird auf Abbildung 1 bzw. Tabelle 3 verwiesen. Bei therapieresistenten Neuralgien muß die Dosis unter Inkaufnahme initialer Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Schwindel, Sehstörungen und Übelkeit rasch gesteigert werden. Die Erhaltungsdosis beträgt meist zwischen 400 und 800 mg täglich. Der Serumspiegel sollte anfangs regelmäßig kontrolliert werden und zwischen 4 und 12 ug/ml liegen. Wesentlich ist die regelmäßige Einnahme, am besten in retardierter Form. Viele Patienten neigen dazu, Carbamazepin wie ein Analgetikum nur nach Bedarf einzunehmen. Dieses Einnahmeverhalten bedingt eine deutlich unzuverlässigere Wirkung bei verstärkten störenden Begleiteffekten. Initiale Nebenwirkungen klingen meist im Laufe der ersten 10 Tage ab. Selten zwingen schwerwiegende Nebenwirkungen wie Exantheme, Leukozytopenie, Leberfunktionsstörungen oder Herzrhythmusstörungen zu einem Absetzen des Medikamentes. Läßt die CBZ-Wirkung im Laufe der Zeit nach, so kann eine Therapiepause von 6 - 8 Wochen hilfreich sein. Zur Überbrückung kann auf eine der nachfolgend genannten Substanzen aus der Gruppe der Antikonvulsiva zrückgegriffen werden.

Phenytoin (Diphenylhydantoin, DPH) ist das Medikament zweiter Wahl. Tagesdosis siehe Abbildung 1, Nebenwirkungen Tabelle 3. DPH kann wegen seiner langen Halbwertszeit in einer einmaligen Dosis abends verabreicht werden. Eine Kombinationsberhandlung mit CBZ ist möglich. Clonazepam (CLP) ist ein potentes Antikonvulsivum, das bevorzugt zur Behandlung des Status epilepticus und bei Myoklonien eingesetzt wird. Seine Wirksamkeit bei der TN wird mit 40 - 60% Besserung angegeben. Wegen der ausgeprägten initialen Müdigkeit muß CLP langsam einschleichend dosiert und sollte wegen möglicher Entzugserscheinungen langsam ausgeschlichen werden.  

Baclofen bindet an GABA-B-Rezeptoren. Bei nicht ausreichender Wirksamkeit von CBZ oder DPH kann Baclofen als Add-on-Medikation versucht werden. Baclofen allein ist nicht ausreichend wirksam. Dosierung und Nebenwirkungen siehe Tabelle 3. Potente Neuroleptika wie Haloperidol oder Pimozid (Orap, R) können vorübergehend als Zusatzmedikation zu CBZ eingesetzt werden, wenn dieses nicht ausreichend wirksam ist. Behandlungen über 4 Wochen hinweg und länger sollten insbesondere bei älteren Menschen vermieden werden, da es zum einen zum Parkinsonoid und zum anderen zu therapierefraktären Spätdyskinesien kommen kann. Eine zusammenfassende Therapieübersicht bietet Abbildung 1 (2,15).

1.7.3. NEUROCHIRURGISCHE THERAPIEVERFAHREN
Eine operative Therapie der TN ist dann indiziert, wenn alle Versuche einer medikamentösen Behandlung mit den oben beschriebenen Substanzen ergebnislos ausgeschöpft worden sind, wenn nicht tolerable Nebenwirkungen eintreten oder wenn es sich um jüngere Patienten handelt, bei denen eine medikamentöse Therapie über viele Jahre durchgeführt werden müßte.

Die operative Methode der ersten Wahl ist heute die mikrochirurgische vaskuläre Dekompression nach Jannetta (6), die zugleich kausal ansetzt. Prinzip: Subokzipitale Trepanation. Darstellung des N. trigeminus im Bereich seines Abgangs aus dem Hirnstamm. Komprimierende Gefäße werden vom Nerven freipräpariert, und der Nerv wird durch ein Interponat (Teflonschwamm) abgepolstert. Erfolgsrate bei erfahrenen Operateuren über 90%, Rezidivquote zwischen 7 und 10%, Mortalität in größeren Statistiken um 0,2%, bleibende Hörstörungen 0 bis 3%. Eine Altersgrenze nach oben für diesen Eingriff besteht nicht (21).

Die alternativen neurochirurgischen Methoden haben eine selektiv destruktive Wirkung mit dem Ziel, Schmerzfreiheit durch Leitungsunterbrechung in Trigeminusafferenzen zu erreichen. Die perkutane selektive Thermokoagulation nach Sweet (17) wird heute vorwiegend bei Patienten mit besonderem Operationsrisiko sowie grundsätzlich bei Patienten mit einer MS als Grunderkrankung durchgeführt. Prinzip: Trepanation entfällt. In Ultrakurznarkose Punktion neben dem Kieferwinkel. Vorschieben der Punktionskanüle durch das Foramen ovale und Plazierung nach Testung im involvierten Trigeminusast . Einschieben einer Thermosonde und isolierte Ausschaltung der Schmerzfasern durch eine kontrollierte Thermoläsion. Mortalität praktisch 0, bei 1 - 2% der Eingriffe Hyp- bis Anästhesia dolorosa, bei Ausschaltung des 3. Astes in ca. 30% der Fälle vorübergehende Masseterschwäche, Rezidivquote bei 20%. Der Eingriff kann problemlos wiederholt werden, wobei das Risiko einer bleibenden Sensibilitätsstörung mit der Zahl der Eingriffe steigt.

Bei der perkutanen retroganglionären Glyzerolinstillation nach Hakanson werden die nicht myelinisierten Schmerzfasern neurotoxisch ausgeschaltet. Prinzip: Technisches Vorgehen im wesentlichen wie bei der selektiven Thermokoagulation nach Sweet (20). Darstellung der Trigeminuszisterne mit Kontrastmittel, anschließend Instillation von 0,2 -0,4 ml Glyzerol. Eine besondere Indikation für diese Methode besteht in der gewünschten isolierten Ausschaltung des ersten Trigeminusastes. Bei Ausschaltung des zweiten oder dritten Trigeminusastes sind die Erfolge deutlich geringer als bei der Thermokoagulation des Ganglion Gasseri. Nebenwirkungen sind entsprechend, Rezidivquote bei 30 - 40%. Bei der Glossopharyngeusneuralgie, die in ca. 10% mit der Trigeminusneuralgie vergesellschaftet ist und die gleiche vaskuläre Ursache hat, wird dementsprechend auch bevorzugt die mikrochirurgische vaskuläre Dekompression nach Jannetta praktiziert (6).

Obsolet sind Ausschaltungen peripherer Trigeminusäste wie des N. supra- oder infraorbitalis, mandibularis oder mentalis durch Exhairese oder durch lokale Alkohol- oder Phenolinjektionen wegen der hier häufigen Komplikation einer Anästhesia dolorosa bzw. Trigeminusneuropathie und einer hohen Rezidivquote. Auch die Resektion des Ganglion Gasseri nach Spiller-Frazier und die retroganglionäre Rhizotomie nach Dandy werden heute nur noch selten durchgeführt.

1.8. NICHT WIRKSAME THERAPIEN
Nicht wirksam in der Prophylaxe der Gesichtsnervenneuralgien sind peripher und zentral wirksame Analgetika, Migränemittel wie Ergotamin und Sumatriptan, Betarezeptorenblocker, Serotonin- und Calcium-Antagonisten (5), verhaltenstherapeutische Verfahren, Relaxationstechniken und psychoanalytische Methoden.

Capsaicin sollte nicht im Gesicht angewandt werden, da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Substanz retrograd bis zum Hirnstamm transportiert wird. Unter allen Umständen müssen traumatisierende Eingriffe im Versorgungsgebiet des betroffenen Nerven vermieden werden, zum Beispiel bei der TN unnötige Zahnextraktionen, bei der GN Operationen im Bereich der Kieferhöhlen oder Ohroperationen.

2. TRIGEMINUSNEUROPATHIE (ATYPISCHE TRIGEMINUSNEURALGIE)
Im Gegensatz zur TN ist hier ein Dauerschmerz charakteristisch, der wellenförmig auf- und abschwellen kann und mit einem sensiblen Defizit verbunden ist. In der Anamnese finden sich häufig Gesichtstraumen, wiederholte Interventionen im Bereich der Nasennebenhöhlen nach Caldwell-Luc, Zahnextraktionen oder kieferchirurgische Eingriffe. Insoweit ergeben sich Überschneidungen mit dem atypischen Gesichtsschmerz (siehe unten). Bisweilen manifestiert sich eine Trigeminusneuropathie auch als Komplikation destruierender neurochirurgischer Operationsverfahren mit Ausbildung einer Hyp- bis Anästhesia dolorosa, wie weiter oben bereits ewähnt. Der Schmerz erklärt sich aus partieller Deafferenzierung nozizeptiver Bahnen.

2.1 THERAPIE
Therapie der Wahl ist die Elektrostimulation mit verschiedenen Zugangswegen, beispielsweise die perkutane Sondenimplantation im Ganglion Gasseri nach Steude (18) oder die operative Implantation einer Elektrode über einen subtemporalen Zugang nach Meyerson. Bei entsprechender perkutaner Teststimulation sprechen ca. 50% der Patienten auf diese Methode an, nach Dauerimplantation erzielt man in 70 - 80% einen guten therapeutischen Effekt.

3. POSTZOSTERISCHE TRIGEMINUSNEURALGIE (22)
Der Herpes zoster im Gesicht betrifft meist den 1. Trigeminusast (Gefährdung des Auges!), seltener den 2. Ast oder das Ganglion oticum mit Zoster oticus. Schmerzen können schon im Akutstadium auftreten. Von einer postzosterschen Neuralgie (PZN) kann ausgegangen werden, wenn die Schmerzen länger als 6 Wochen nach der abgeklungenen Akutphase persistieren. Es handelt sich vornehmlich um einen sehr quälenden undulierenden Dauerschmerz von brennendem, bohrendem oder stechendem Charakter, bisweilen überlagert durch einschießende neuralgiforme Schmerzen. Neurologisch finden sich sensible Störungen wie Hypästhesie, Hyperästhesie, Dysästhesie , Hypalgesie. Die Diagnose erschließt sich aus der Anamnese und dem Untersuchungsbefund. Im Alter nimmt die Wahrscheinlichkeit für eine PZN zu, besonders sind Patienten oberhalb des 60. Lebensjahres betroffen. Manifestieren sich die Schmerzen nach einem freien Intervall, so ist eine Spontanremission unwahrscheinlich.

3.1.THERAPIE
Eine aggressive Behandlung des akuten Zosters mit Aciclovir ist möglicherweise geeignet, der Entwicklung einer PZN vorzubeugen. Zur Behandlung der eigentlichen PZN stehen verschiedene Therapieansätze zur Verfügung, die allerdings alle proportional zum zeitlichen Verlauf seit der Akutphase an Effektivität verlieren (9,22). Wichtig ist daher eine möglichst frühzeitige Therapie.

3.1.1. ANTIDEPRESSIVA, ANTIKONVULSIVA
Die analgetische Wirksamkeit von Antidepressiva ist vor allem für die Substanz Amitriptylin gesichert. Dosierung individuell zwischen 2 mal 10 mg und 100 mg täglich. Wegen der sedierenden Nebenwirkung Einnahme bevorzugt mittags und abends und nicht am Morgen. Weitere relevante Nebenwirkungen sind dosisabhängig Mundtrockenheit, Akkomodationsstörungen, Obstipation, besonders bei älteren Menschen auch Kreislaufbeschwerden oder Tachykardien. Antidepressiva wirken vor allem gegen die Dauerschmerzen. Bei einschießenden Schmerzen sind analog zur TN Antikonvulsiva wie z.B. Carbamazepin zu bevorzugen, ohne daß gesicherte klinische Ergebnisse vorliegen. Zur Dosierung siehe Tabelle 3.

3.1.2. REGIONALANALGESIE
Injektionen am Sympathicus mit Lokalanästhetika oder auch Opioiden sollen vor allem in der frühen Phase einer PZN wirksam sein und den Schmerz nachhaltig zum Verschwinden bringen. Es sollten nicht mehr als 10 Blockaden durchgeführt werden. Hat danach keine Besserung eingesetzt, ist sie auch nicht von weiteren Blockaden zu erwarten.

3.1.3. ANALGETIKA
NSAR und Opioide kommen erst bei einem Versagen der bisher genannten Medikamente und der Sympathicusblockaden in Frage. Diese symptomatische Schmerztherapie erfolgt am besten mit retardierten Präparaten.

3.1.4. THERAPIE AKUTER SCHMERZANFÄLLE
Zur Akutintervention eignen sich - neben den Sympathicusblockaden - lokale Maßnahmen wie Lokalanästhetika-Pflaster oder ASS-Äther-Mischungen. Antidepressiva und Antikonvulsiva sind hier ungeeignet, ebenso Aciclovir. Operative destruktive Verfahren sind ohne Wirkungsnachweis.

4. KIEFERGELENKSYNDROM, MYOFASZIALES SCHMERZSYNDROM
Definitionsgemäß handelt es sich um einen episodischen oder chronischen Gesichtsschmerz im Bereich des Kiefergelenkes und der benachbarten Kaumuskulatur (5,12,14). Der Schmerz wird muskelkaterartig eher in der Tiefe empfunden, bei Kaubewegungen einschießend. Diagnostisch relevante Untersuchungsbefunde sind eine eingeschränkte Mundöffnung, druckdolente Kaumuskulatur, asymmetrischer Biß und eine positive Probeblockade im Kiefergelenk.

4.1. THERAPIE
In Betracht kommen orthetische Versorgung, Triggerpunktinfiltration, bei Begleitarthritis NSAR wie z.B. Ibuprofen oder Diclofenac, bei persistierenden Schmerzen Antidepressiva (siehe oben). Bei myofaszialem Schmerzsyndrom sind psychologische Therapieverfahren wie verhaltenstherapeutische Methoden und Entspannungstechniken besonders erfolgversprechend. Obsolet sind operative Revisionen, Zahnextraktionen, Kieferhöhlenoperationen.

5. CHRONISCHER GESICHTSSCHMERZ ZENTRALER GENESE
Nach lokalen Hirnläsionen, insbesondere nach akuten zerebrovaskulären Ereignissen wie umschriebenen ischämischen Infarkten oder Blutungen, können einseitige Gesichtsschmerzen auftreten und hartnäckig persistieren. Gemeinsamer Nenner für die Entwicklung des Schmerzes zentraler Genese im Gesicht ist eine Teilläsion im Thalamus oder im Trigeminuskerngebiet (z.B. bei einem dorsolateralen Oblongata- bzw. Wallenberg-Syndrom) oder im Verlauf der aufsteigenden trigemino-thalamischen und thalamo-kortikalen Schmerzleitung. Der Schmerz ist einseitig lokalisiert, tritt mit zeitlicher Verzögerung auf, ist dumpf, auch brennend, stechend, teils anhaltend, teils einschießend und nahezu immer mit einem sensiblen Defizit verbunden. Er tritt spontan oder im Gefolge von Schmerzreizen auf (Spontanschmerz, Allodynie, Hyperpathie). Weitere neurologische Symptome wie eine mehr oder weniger flüchtige Hemiparese, Hemihypästhesie, Athetose, Ataxie, Apraxie, Tremor, Horner-Syndrom können hinmzukommen.

5.1. THERAPIE
Der Schmerz ist therapeutisch schwer beeinflußbar, selten definitiv zu beseitigen. NSAR sind wirkungslos, Opioide in der Wirkung unzuverläßig. Zumindest eine Teilbesserung läßt sich erwarten durch eine Therapie mit trizyklischen Antidepressiva wie Amitriptylin (Dosierung und Nebenwirkungen siehe oben), fernerhin mit Carbamazepin bei mehr einschießenden neuralgiformen Schmerzen sowie mit Lidocain intravenös. Der Effekt hirnstereotaktischer Eingriffe auf den Schmerz ist unsicher (16).

6. ATYPISCHER GESICHTSSCHMERZ
Die Bezeichnung "Atypischer Gesichtsschmerz" (AG) wurde 1924 von Frazier und Russel (4 ) eingeführt, um die TN von anderen Schmerzsyndromen im Gesicht abzugrenzen. Die IHS (5) definiert den AG als persistierenden Gesichtsschmerz ohne organische Ursachen. Er tritt täglich auf, hält üblicherweise den ganzen Tag an und kann sich von einem bestimmten Gesichtsareal in Ober- und Unterkiefer bzw. andere Gesichtsbereiche oder sogar in den Nacken ausbreiten. Neurologische Ausfallserscheinungen, insbesondere sensible Defizite oder andere körperliche Symptome fehlen. Die sog. "atypische Odontalgie" und die "Glossodynie" werden als Unterformen des AG angesehen (13).

Der Schmerz kann einseitig auftreten, auch beidseitig und seitenwechselnd. In über 90% der Fälle besteht ein Dauerschmerz wechselnder Intensität. Die Schmerzqualität wird als brennend, stechend, drückend oder pusierend angegeben, gelegentlich werden Dysästhesien oder Parästhesien beschrieben. Auslösefaktoren sind die Ausnahme. Intrakraniell gelegene Tumoren des N. trigeminus oder seines Ganglions, des Kleinhirnbrückenwinkels, der Schädelbasis, der Orbita und des Nasopharynx sowie Infektionen im Bereich der Kiefer oder als Folge von Zahnextraktionen können einen AG imitieren. Der AG ist deshalb eine Ausschlußdiagnose und erfordert differentialdiagnostisch den Einsatz apparativer, insbesondere auch bildgebender Untersuchungsmethoden.

Daten zur Inzidenz und Prävalenz und zum Spontanverlauf sind nicht bekannt. In 90% sind Frauen betroffen. Symptomfreie Phasen können auftreten und Monate anhalten. Die Patienten unterziehen sich multiplen Eingriffen (Zahnextraktionen, Wurzelbehandlung, Kieferprothese, Thermokoagulation etc.), wobei Sekundärschäden verursacht werden und das klinische Bild komplizieren und weiter chronifizieren können. Ätiologie und Pathogenese des AG sind unklar. In mehr als 2/3 der Fälle wird der AG von einer depressiven Verstimmung begleitet. Manche Autoren sehen den AG als eine Variante des Spannungsschmerzes, andere diskutieren pathogenetisch eine Dysfunktion im zentralen antinozizeptiven System (10,11).

6.1. THERAPIE
Bereits der Hinweis, daß es sich nicht um eine gefährliche organische Erkrankung handelt, kann hilfreich sein. Eine optimale Therapie steht noch nicht zur Verfügung. Verhaltenstherapeutische Strategien erweisen sich als relativ effizient (8). Positive Effekte von Antidepressiva und MAO-Hemmern als Monotherapie des AG (11) oder flankierend zur Verhaltenstherapie beruhen nicht nur auf deren antidepressiven Eigenschaften, sondern auch auf zusätzlichen analgetischen Effekten. In Betracht kommen Amitriptylin, Amitriptylin-Oxid oder Clomipramin. Zur Dosierung wird auf Tabelle 4 verwiesen, Nebenwirkungen siehe S. XX. Gelegentlich können Neuroleptika wie Thioridazin 25 - 75 mg täglich oder MAO-Hemmer, z.B. Tranylcypromin 20 mg täglich wirksam sein (11). Analgetika sollten nicht verordnet werden, da sie meist ineffektiv sind und bei längerfristiger Einnahme sogar einen Schmerzmittelkopfschmerz hervorrufen können. In Einzelfällen wird über Erfolge mit einer Elektrostimulation des Gangion Gasseri (7, 18) bzw. mit TENS (3) berichtet.

Operative Maßnahmen, insbesondere auch Zahnextraktionen und Wurzelbehandlung sind kontraindiziert. Infrarotbestrahlung, Neuraltherapie, autogenes Training, Akupunktur, Physiotherapie, analytische Psychotherapie und Hypnose, chiropraktische Manöver und Hydrotherapie haben im besten Fall Plazeboeffekte.

Verwandte Krankheitsbilder
Bezüglich der Differentialdiagnose sei auf Tabelle 2 verwiesen. Insbesondere sind hier auch das Kiefergelenksyndrom und das myofasziale Schmerzsyndrom zu bedenken.


Literaturverzeichnis

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